Jüdische Erinnerungsstätte eröffnet

Veröffentlichungsdatum10.11.2023Lesedauer5 Minuten
Mehrere Personen bei drei Stahlsäulen

Enthüllten die Jüdische Erinnerungsstätte: Künstler Friedrich Fürst, Stadträtin LAbg. Mag. Silvia Moser, MSc, Dr. Willy Weisz, Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Historiker Prof. Friedel Moll, Theaterregisseur Markus Kupferblum, Vizebürgermeister Andrea Wiesmüller und Direktor Hofrat Mag. Wolfgang Steinbauer.

Am 85. Jahrestag der Novemberpogrome wurde in Zwettl am 9. November eine „Jüdische Erinnerungsstätte“ eröffnet. Drei Säulen aus Cortenstahl vor dem Stadtamt sollen der 21 jüdischen Zwettlerinnen und Zwettler gedenken, die während der NS-Zeit aus rassistischen Gründen als Juden verfolgt, vertrieben und in Lagern des NS-Regimes ermordet wurden. Ein entsprechender Infotext befindet sich an einer der Säulen. Auf einer weiteren sind die 21 Namen dieser jüdischen Bürgerinnen und Bürger angeführt. Auf der dritten findet sich die alte jüdische Weisheit „Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung“. Alle Fotos der Eröffnung finden Sie in unserer Bildergalerie.

Vor allem mit dem Großangriff auf Israel von der Terrororganisation Hamas und dem Brandanschlag auf einen jüdischen Friedhof in Wien habe der Gedenktag eine schreckliche Aktualität bekommen, erklärte Vizebürgermeister Andrea Wiesmüller: „Antisemitismus in jeglicher Form ist inakzeptabel und muss mit aller Härte bekämpft werden. Dabei ist egal, ob er islamistisch, rechtsextremistisch oder linksextremistisch motiviert ist.“ Wiesmüller sah die Eröffnung als ein richtiges Zeichen gegen Antisemitismus und appellierte: „Wehret den Anfängen!“

Die Errichtung der Erinnerungsstätte wurde einstimmig im Gemeinderat beschlossen und unter Bürgerbeteiligung in der Themenwerkstatt Kultur und Freizeit erarbeitet.

21 Namen, 21 Schicksale

Moderiert wurde die Eröffnung von Hofrat Mag. Wolfgang Steinbauer, Direktor des Gymnasiums Zwettl, der sagte: „Dieses Mahnmal soll gegen jede Art von gesellschaftlicher Ausgrenzung stehen.“ 21 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums lasen nach der Enthüllung der Erinnerungsstätte die 21 Namen vor. Musikalisch umrahmt wurde die Eröffnung von Maciej Golebiowski (Klarinette) und Fabian Pollack (Gitarre), die jüdische Lieder spielten. Logo Zukunftsfonds

Nach einer Gedenkminute fand der zweite Teil der Eröffnungsfeier im Großen Sitzungssaal des Stadtamts statt. In seiner Rede sprach Dr. Willy Weisz, Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, ebenfalls die aktuellen Geschehnisse an, die jegliche Hoffnung verstummen haben lasse, dass sich ähnliche Geschehnisse der Novemberpogrome nicht mehr wiederholen können.

Die jüdische Geschichte von Zwettl

Weisz zeichnete die Geschichte der Juden in Zwettl nach, die im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts begann. Die Zeit der Judenverfolgung im 19. und 20. Jahrhundert sei differenziert zu betrachten: So wurde 1870 der Antisemit Georg Ritterer von Schönerer zum Ehrenbürger von Zwettl ernannt. Es gab aber auch eine andere Geisteshaltung, betonte Weisz: 1890 sprach etwa der Stadtrat von Zwettl einem antisemitischen Redakteur Wolf, der bei einem deutschnationalen Turnfest eine judenfeindliche Rede hielt, seine tiefste Verachtung aus: „Zwettl hat also von allem etwas gehabt“, erklärte Weisz. 

Er begrüßte in diesem Zusammenhang besonders, dass die Initiative zur Errichtung einer jüdischen Erinnerungsstätte von Zwettl und nicht von jüdischer Seite ausgeht. Das gebe Hoffnung, dass Zwettl von Menschen gelenkt wird, die „eine Ideologie ablehnen, die wie die Nazis auf die Ausgrenzung bis zur Vertreibung und Ermordung von Menschen hinsteuert und dass der Antisemitismus in Zwettl keine Basis mehr finden möge, gleichgültig, ob es hier Juden gibt, oder nicht.“ Logo,Nationalfonds

Kein Denkmal, sondern Mahnmal

Unter den Ehrengästen war auch der Theaterregisseur Markus Kupferblum, der über die Künstlerin Linde Waber mit Zwettl verbunden ist. Er erklärte in seiner Rede, dass diese Erinnerungsstätte kein Denkmal, sondern ein Mahnmal sei. In einer eindrucksvollen Rede warnte er davor, dass sich die Geschichte wiederholt und zitierte Jean Paul Sartre und seine „Überlegungen zur Judenfrage“, nach dem Antisemitismus zum Problem einer gesamten Gesellschaft werde: „Wer gegen Juden hetzt, hetzt auch bald gegen Andersdenkende, der schafft Vielfalt ab, Demokratie, Rechtssicherheit und Freiheit, alles, was heute in Österreich glücklicherweise, wie selbstverständlich, unser Leben bestimmt, aber damals zur Zeit der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten undenkbar war.“

Kupferblum ging auch auf die 21 vertriebenen und ermordeten Jüdinnen und Juden aus Zwettl ein: „Vielleicht erinnert sich noch jemand an eine Beratung durch den Rechtsanwalt Dr. Fränkel in der Hamerlingstraße Nr.4, vielleicht finden sich auf irgendeinem Dachboden noch ein Paar Schuhe aus Paul Kleins Schuhgeschäft. All diese Erinnerungen sind wertvoll und wichtig.“

Markus Kupferblum dankte den für die Erinnerungsstätte Verantwortlichen sowie den Schülern des Gymnasiums Zwettl: „Ihr habt euch der unangenehmen Aufgabe angenommen, daran mitzuwirken, sich mit dem traurigen und nicht besonders ehrenvollen Kapitel eurer Heimatstadt auseinanderzusetzen, als der Hass auf die Jüdinnen und Juden unfassbares menschliches Leid ausgelöst hat – und ihr damit bewiesen habt, dass das Zwettl von heute nicht mehr das Zwettl von damals ist.“ 

Der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Univ. Prof. i. R. Dr. Martin Jäggle richtete sich in einer Mail an die Stadtgemeinde Zwettl und bedankte sich für die Errichtung der Erinnerungsstätte. Durch sie und durch die Wahl des jüdischen Sprichwortes auf einer der Säulen mache die Stadtgemeinde die Eröffnung zu einem Anfang auf Zukunft hin. 

Den Namen ein Gesicht geben

Eine der drei Säulen ist mit einem QR-Code versehen, der auf eine Infoseite des Zwettler Stadtarchivs zur Erinnerungsstätte verweist (aufrufbar auch hier). Dort sind die 21 Schicksale der vertriebenen und ermordeten Zwettler Juden aufgearbeitet und nachzulesen. 

Bei der Eröffnungsfeier blickte der Historiker und frühere Stadtarchivar Prof. Friedel Moll unter dem Motto „Den Namen ein Gesicht geben“ auf diese Biographien zurück. So erfuhren die Besucher etwa in welchen Gebäuden die Zwettler Juden gelebt und welche Strapazen sie bei ihrer Flucht – sofern sie geglückt war – auf sich genommen haben. Diese Geschichten zum jüdischen Leben in Zwettl sind akribisch aufgearbeitet auch in den Zwettler Zeitzeichen Band 13 nachzulesen.

Schüler des Gymnasiums Zwettl verlasen die 21 Namen, die auf den Säulen angeführt sind, mit im Bild: Mag. Kathrin Fichtinger (Mitte links) und Direktor Hofrat Mag. Wolfgang Steinbauer (Mitte rechts)Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Zwettl verlasen die 21 Namen, die auf den Säulen angeführt sind, mit im Bild: Mag. Kathrin Fichtinger (Mitte links) und Direktor Hofrat Mag. Wolfgang Steinbauer (Mitte rechts)

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