Vor 80 Jahren

Veröffentlichungsdatum31.10.2019Lesedauer9 Minuten

Auch in Zwettl: Verfolgung von Geistlichen durch das NS-Regime

Die nationalsozialistische Ideologie erhob Anspruch auf eine totale Weltanschauung, der keinen Raum für konkurrierende religiöse oder politische Weltdeutung und Sinngebung zuließ. Die Vorherrschaft der arischen Herrenrasse war nur mit einer im nationalsozialistischen Geist erzogenen Bevölkerung zu erreichen, die sich von der „jüdischen Mitleidsmoral“ des Christentums abkehrte. Daher gingen auch in Österreich sofort nach dem „Anschluss“ von 1938 die politischen Machthaber daran, den Einfluss der Kirchen und ihrer Würdenträger auf die Bevölkerung mit allen Mittel einzuschränken und zu unterbinden.

Schließung von katholischen Privatschulen

Eine der ersten Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber gegen das Stift Zwettl war die Schließung des Sängerknabenkonvikts. Mit Erlass des „Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten“ in Wien vom 19. Juli 1938 wurde allen Privatschulen in Österreich das Öffentlichkeitsrecht entzogen. Damit blieben Konvikt und Untergymnasium in Stift Zwettl geschlossen.

Auch den Schulschwestern, die in Zwettl im Haus Klosterstraße 10 eine Privat- Volks- und Bürgerschule (Hauptschule) und seit 1926 auch eine Haushaltungsschule betrieben, wurde die Lehrbefugnis entzogen.

Bald darauf musste ebenso das seit 1924 bestehende, sehr aktive Exerzitienwerk des Klosters seine Tätigkeit einstellen. Ziel dieser Institution war die geistige Bildung der Katholiken aller Stände und Altersgruppen. Außerdem bot das Exerzitienwerk Gelegenheit, für die Bevölkerung Fortbildungskurse zu organisieren, die Grundkenntnisse in landwirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Belangen liefern sollten. An den vier Veranstaltungen im Februar 1939 nahmen noch insgesamt 172 Personen teil. Ende Juli desselben Jahres mussten die Exerzitien über Weisung des Landrates (heute Bezirkshauptmannschaft) eingestellt werden.

Kirchliche Veranstaltungen werden kontrolliert und eingeschränkt

Am 25. Oktober 1939 meldete der Inspekteur der Sicherheitspolizei an den Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich in Wien, dass am Sonntag, dem 22. Oktober in mehreren Orten in Niederdonau (Niederösterreich) Erntedankfeste stattgefunden hätten und dass jenes im Stift Zwettl und in den Pfarren, welche dem Stift unterstanden, besonders machtvoll gestaltet gewesen seien. Man wies darauf hin, dass hier die Partei (NSDAP) einschreiten müsse, um solch propagandistischen Erfolgen zu begegnen.

Tatsächlich wurden nach und nach fast alle kirchlichen Aktivitäten eingeschränkt, vor allem jene, die „auf der Straße“, also öffentlich passierten, wie Prozessionen oder Wallfahrten. Ab dem Schuljahr 1938/39 gab es keine Schulmessen mehr, der Religionsunterricht wurde zum Freigegenstand erklärt. Ab Ostern 1939 mussten alle Religionsstunden als letzte Stunden oder am Nachmittag gehalten werden, statt zwei Wochenstunden Religion gab es nur mehr eine.

Der Zwettler Pfarrer Johann Flicker vermerkte 1939 in der Pfarrchronik: Die Gendarmerie hatte Bericht zu erstatten über den Verlauf und die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. Ein gewisses Spitzelsystem, das auch den Gottesdienstbesuch von Angestellten kontrollierte, wird an manchen Orten organisiert.

Druck auf politisch Andersdenkende und einzelne Geistliche

Pater Werner Deibl war Sängerknabe in Stift Zwettl und trat 1902 in dieses Kloster ein. Er studierte an der Hochschule für Bodenkultur in Wien, war ab 1915 als Stifts-Ökonom für die Wirtschaft des Klosters Zwettl zuständig und hatte zahlreiche öffentliche Funktionen inne.

Pater Werner Deibl (1881–1970), Wirtschaftsdirektor des Stiftes Zwettl, war während des Ständestaates ein äußerst aktiver, hoch dekorierter Bauernfunktionär und Mitglied der Vaterländischen Front gewesen. Die Bevölkerung nannte ihn allgemein „den Landeshauptmann des Waldviertels“. Noch im März 1938 wurde er verhaftet und verhört. Über Auftrag der Gestapo stellte die Gendarmerie Nachforschungen über sein Verhalten und seine nationalsozilistenfeindliche Gesinnung an. Man konnte ihm aber keine konkreten Verfehlungen nachweisen.

Am 23. März 1939 teilte die gefürchtete Leitstelle der Gestapo Wien I, Morzinplatz 4, dem Landrat des Kreises Zwettl mit, dass Pater Nivard Binder, Pfarrer in Jagenbach, im Ständestaat Führer der Vaterländischen Front und der Ostmärkischen Sturmscharen gewesen sei und nun im Pfarrhof und bei einem Bauern in Jagenbach an geheimen Zusammenkünften teilnehme, die als „Tarockrunden“ bezeichnet würden. Auch werde er immer wieder von fremden Autos abgeholt. Pater Nivard galt für die Gestapo als Urheber der „schwarzen Flüsterpropaganda“ im Waldviertel.

Pater Nivard wurde vorübergehend verhaftet, verhört, die Pfarrkanzlei in Jagenbach eingehend durchsucht. Am 20. Juli 1939 wurde P. Nivard zur Kreisleitung vorgeladen und in der Folge von Jagenbach nach Großschönau versetzt. Am 26. Februar 1943 wurde er dort von der Gestapo verhaftet und im November vom „Sondergericht Wien“ zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte nämlich nicht verhindert, dass seine Dienstmagd Theresia Winkler mit einem polnischen Zwangsarbeiter ein Liebesverhältnis eingegangen war, das nicht ohne Folgen blieb. Da der Geschlechtsverkehr von Polen mit deutschen Frauen mit dem Tode bestraft wurde, zeigte Pater Nivard den Vorfall nicht an. Er wollte ohne Zweifel verhindern, dass der polnische Arbeiter hingerichtet werde. Nach Verbüßung der Haftstrafe in der Strafanstalt Stein wurde P. Nivard Binder Ende Jänner 1945 entlassen, er kehrte am 15. März 1945 in das Stift Zwettl zurück.

Das NS-Regime setzte vor allem jene Geistlichen, die sich in Jugendarbeit und Seelsorge erfolgreich engagierten, besonders unter Druck. Willfährige Spitzel der Partei, Gendarmerie und Gestapo wurden nicht müde, diese Personen zu verunsichern, zu drangsalieren und wenn möglich mundtot zu machen

Seit Herbst 1937 wohnte im Benefiziatenhaus in Schloß Rosenau der pensionierte Pfarrer Alois Neurura, ein gebürtiger Südtiroler. Er amtierte als Messleser und gründete 1938 in Schloß Rosenau eine Gemeinschaft des Dritten Ordens. Die Gendarmerie stellte im Februar 1939 fest, dass die Mitgliederzahl dieser Gemeinschaft in den letzten drei Monaten von 40 auf 70 Personen angewachsen sei. Man stufte Neurura als Monarchisten und Anhänger Otto Habsburgs ein, der in seinen Predigten seine politische Meinung immer wieder durchscheinen ließ und so eine Gefahr für die nationalsozialistische Bewegung darstellte. In der Nacht von Faschingdienstag auf Aschermittwoch 1938 warfen unbekannte Täter mit mehreren Steinen die Fenster seines Wohnhauses ein. Als er sich darüber beschwerte, wurde er per Auto abgeholt und in Schutzhaft genommen. Da er nach Schloß Rosenau nicht mehr zurückdurfte, brachte ihn die Sicherheitspolizei im Pfarrhof Zwettl unter. Hier leistete er in der Osterzeit als Geistlicher wertvolle Dienste, bis er eine Stelle als Seelsorger im Böhmerwald annahm.

Pater Reinald Schmalbaug, der Pfarrer von Oberstrahlbach, betonte am 13. April 1939 während einer Standeslehre für Verheiratete, dass die Eltern ihre Kinder religiös erziehen sollten, andernfalls würde es um die Zukunft der Kinder schlecht bestellt sein. Diese und ähnliche Äußerungen wurden von den nationalsozialistischen Machthabern registriert und evident gehalten. Wie viele Geistliche stand Pater Reinald nun ständig unter Beobachtung durch Gestapo und Parteispitzel.

P. Ferdinand Gießauf (1961–1980 Abt des Stiftes Zwettl), war 1938 Kaplan in der Pfarre Schweiggers. 1941 wechselte er als Pfarrprovisor nach Friedersbach und bald darauf als Kaplan nach Eisgarn. Im Oktober 1941 wurde er Kaplan in der Stadtpfarre Zwettl. Wie der Zwettler und Dechant Johann Flicker in der Chronik vermerkte, engagierte sich Pater Ferdinand besonders erfolgreich in der Schule. Aus diesem Grund wurde er am 1. April 1942 zur Gendarmerie vorgeladen, und wenig später verhängte der örtliche Kreisschulrat seine Enthebung vom Religionsunterricht. Da er von den nationalsozialistischen Behörden als „politisch und erziehlich bedenklich“ befunden wurde, verlangte die Reichsstatthalterei, dass man ihn bis auf weiteres mit keinem Seelsorgeposten betraue. Im Juli 1942 wechselte er daher als Sekretär in die bischöfliche Finanzkammer nach St. Pölten. Vermutlich wollten auch die Kirchenoberen den jungen, engagierten Priester, der dem Regime durch seine seelsorgerische und pädagogische Tätigkeit bereits auffällig geworden war, aus der „Schusslinie“ der Machthaber bringen.

Am 18. August 1941 trat Karl Eger seine Stelle als Kaplan in Zwettl an. Er stammte aus Pöchlarn und war vorher Kaplan in Gföhl gewesen, wo er mit staatlichen Stellen in Konflikt geriet, weil er sich abfällig über die standesamtliche Eheschließung geäußert hatte. Er wurde von der Gestapo verhört und zur Zahlung eines „Sicherungsgeldes“ von 2.000 Reichsmark verurteilt. In Zwettl verhängte man schon nach wenigen Tagen ein Schulverbot über ihn

Johann Flicker war von 1.6.1933 – 1.3.1946 Stadtpfarrer in Zwettl. Danach war er als Pfarrer in Neupölla tätig.

Am 31. Juli 1940 wurde der Zwettler Pfarrer und Dechant Johann Flicker zur Gestapo in St. Pölten vorgeladen und zu einem Monat Hausarrest verurteilt. Man warf ihm Verleumdung der Staatspolizei vor, weil er sich in einer Strafprozesssache eines Priesterkollegen positiv über diesen geäußert hatte.

Am 12. Mai 1941 kamen zwei Gendarmen in den Zwettler Pfarrhof. Der Mesner hatte sich in Großhaslau und anderen Ortschaften eine Ostersammlung an Eiern zusammengetragen, was während der Kriegszeit verboten war. Die Sache wurde angezeigt, und die Gendarmerie vermutete, dass sich auch im Pfarrhof Eier befinden könnten, was aber nicht der Fall war.

Am 21. November 1941 kamen zwei Beamte der Gestapo Zwettl in den Pfarrhof, um den Schreibtisch nach Privatkorrespondenz zu durchsuchen. Am 26. November 1941 wurde Dechant Flicker abermals zur Gestapo in St. Pölten vorgeladen. Er musste sich wegen diverser Sammlungen und Bittgänge verantwortlich, die wegen des laufenden Fünfjahresplanes nicht hätten durchgeführt werden.

Am 19. August 1942 wurde Pfarrer Johann Flicker verhaftet und wegen Fluchtgefahr in das Landesgericht nach Wien gebracht. Man warf ihm hetzerische Reden und Ausnützung kriegsbedingter Verhältnisse vor, also Verstöße gegen das Heimtückegesetz und die Volksschädlingsverordnung, was mit Strafen von zwei bis 20 Jahren Zuchthaus, in besonders erschwerenden Fällen auch mit dem Tode bedroht wurde. Flicker kam in eine Einzelzelle, 4 mal 2 Meter groß, die von Wanzen bevölkert war. Am 25. August wurde Pater Evermod Winkler, der Pfarrer von Göpfritz an der Wild, sein Zellengefährte. Diesem wurde der Herabsetzung der Deutschen Wehrmacht vorgeworfen, weil er sich über Erschießungen von russischen Kriegsgefangenen geäußert hatte. Im Jänner 1943 verurteilte das Gericht Pater Winkler zu einer 18-monatigen Haftstrafe.

Die Verhandlung gegen Pfarrer Flicker fand am 28. August 1943 statt. Sie wurde nach einigen Stunden vertagt und der Angeklagte freigelassen, letztlich stellte man das Verfahren ein, und der Pfarrer konnte nach Zwettl zurückkehren.

Josef Bauer (von 1946 bis 1960 Stadtpfarrer in Zwettl) war seit Jahresende 1941 Pfarrer in Großglobnitz. Im Jänner 1943 ließen Unbekannte die Gestapo wissen, dass Pfarrer Bauer das Sammlungsgesetz übertreten habe, weil er in den Kapellen in Kleinotten und Hörmanns sowie in der Pfarrkirche von Großglobnitz Sammlungen für ein elektrisches Orgelgebläse durchgeführt hatte. Bei der Vernehmung auf dem Gendarmerieposten konnten aber keine Ungesetzlichkeiten festgestellt werden.

Am 31. Mai 1943 wurde Pfarrer Josef Bauer zur Gestapo nach St. Pölten vorgeladen. Man warf ihm vor, dass er Kirchenchorproben zu einer Zeit angesetzt habe, zu der Dienststunden des BdM (Bund deutscher Mädel, eine Formation der Hitlerjungend HJ) stattgefunden hätten. Er habe damit die Mädchen von ihren Verpflichtungen abgehalten. Der Pfarrer erklärte, dass ihm bekannt sei, dass zugleich mit BdM-Veranstaltungen keine kirchlichen Veranstaltungen angesetzt werden dürfen, dass ihm der Termin der HJ-Veranstaltungen aber nicht bekannt gewesen sei. Bauer wurde verwarnt, er musste unterschreiben, dass er in Hinkunft solche Terminüberschneidungen vermeiden werden, andernfalls drohte ihm strenge Bestrafung.

Am 3. Juli 1943 wurde Pfarrer Josef Bauer dann zum Verhör in die Gestapo Leitstelle Wien I, Morzinplatz 4 vorgeladen. Man befragte ihn eingehend zu einer Tagung für Laienjugendhelfer, die am 6. Juni in Hoheneich stattgefunden hatte. Josef Bauer war 1942 zum Dekanatsjugendseelsorger bestellt worden und hatte in dieser Funktion an der Veranstaltung teilgenommen. Die Gestapo wollte Informationen über die Teilnehmer an dieser Tagung.

Am 29. November 1943 wurde Pfarrer Bauer wieder zur Gestapo nach St. Pölten vorgeladen. Wieder ging es um die Tagung der Laienjugendhelfer in Hoheneich. Man warf den daran teilnehmenden Geistlichen vor, den Führern einer im Aufbau begriffenen katholischen Jugendorganisation Gelegenheit gegeben zu haben, Vorträge zu halten. Pfarrer Bauer wurde „Sicherungsgeld“ in der Höhe von 300 Reichsmark abverlangt. Andere Geistliche aus dem Diözesanamt, welche die Tagung organisiert oder an ihr teilgenommen hatten, mussten 2.000 und 3.000 Reichsmark an „Sicherungsgeld“ bezahlen.