Vortrag: „Eine Stadt sucht ihren Platz“

Veröffentlichungsdatum25.10.2022Lesedauer4 Minuten

Zu einem informativen Vortrag unter dem Titel „Kriege, Krisen, Neubeginn – eine Stadt sucht ihren Platz“ lud die Stadtgemeinde am 21. Oktober in den Sparkassensaal. Die sich in der Stadtgeschichte spiegelnden zentralen Aspekte der österreichischen Zeitgeschichte wurden in einem Projekt wissenschaftlich aufgearbeitet. Bei einem Workshop am Nachmittag analysierten die Historiker zuvor ihre Ergebnisse.

Workshop am 21. OktoberDie am Workshop teilnehmenden Wissenschaftler mit Bgm. LAbg. ÖkR Franz Mold (8. v. l.), Stadtarchivarin Elisabeth Moll, MBA, Prof. Friedel Moll und StADir-Stv. Mag. (FH) Werner Siegl (r.)

Dr. Stefan Eminger vom Landesarchiv, der mit Mag. Josef Prinz die Leitung des Forscherteams zur Zeitgeschichte übernommen hatte, meinte in seiner Einleitung treffend, dass „Zeitgeschichte noch dampft“. Vieles hat man selbst miterlebt und war von Auswirkungen der großen Weltpolitik auf die Kleinstadt Zwettl persönlich betroffen.

Nächstes Kapitel aufgeschlagen

Die letzte umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Stadtgeschichte Zwettls wurde Anfang der 1980er Jahre durchgeführt. Das Ergebnis jener Forschungen - das Heimatbuch „Zwettl I“ - ist in fast jedem Zwettler Haushalt zu finden. Allerdings war damals der Zweite Weltkrieg noch sehr präsent und emotional behaftet. Dies machte es für die Wissenschaftler schwierig, diesen Zeitabschnitt neutral zu beforschen und darzustellen. Außerdem stehen heute historische Quellen zur Verfügung, die in den 1980er Jahren noch nicht zugänglich waren. 

Auch haben sich in den letzten Jahren die Fragestellungen der Wissenschaft grundlegend geändert. Dies nahm die Stadtgemeinde Zwettl im Jahr 2018 für den Start eines mehrjährigen Projektes zum Anlass, das in Zusammenarbeit mit dem Verein "Netzwerk Geschichte" und unter Inanspruchnahme von Fördermitteln des Landes Niederösterreich die lokale Geschichte überarbeiten und auf den aktuellen Stand der Geschichtsforschung bringen soll.

Team nahm Historie unter die Lupe

Markante Einschnitte wie der Zweite Weltkrieg, der Eiserne Vorhang, die „Ostöffnung“ und der Beitritt zur Europäischen Union wurden durch ein Team von hochkarätigen Wissenschaftlern aufgearbeitet. Mag. Josef Prinz und Dr. Marius Weigl-Burnautzki konzentrierten sich bei ihren Recherchen auf Herrschaft und politische Systeme in der Stadt Zwettl. Dr. Lukas Husa erforschte Migration und Demographie, und Dr. Hanja Dämon analysierte die Erinnerungs- bzw. Feierkultur, das Selbstverständnis und das kulturelle Leben der Zwettler. 

Spione, Zwangsarbeiter, Flüchtlinge

Vizebürgermeister Andrea Wiesmüller zeigte sich bei der Präsentation beeindruckt von den interessanten Forschungsergebnissen und war wie zahlreiche Besucher überrascht, dass nun schon zum dritten Mal binnen eines Jahrhunderts Menschen aus der Ukraine, zunächst als verdächtige Spione, dann als Zwangsarbeiter und zuletzt als Flüchtlinge in Zwettl untergebracht wurden. 

Die gezielten Forschungen der Historiker zeigen, dass sich die Zwettler immer wieder den sich verändernden Rahmenbedingungen anpassten, sich neu arrangierten und als Gesellschaft positiv entwickelten. Musikalisch wurde der Abend von Christian Renk umrahmt, der auf seinem Saxophon moderne bis schräge Interpretationen bekannter Lieder aus dem 20. Jahrhundert zum Besten gab.

Workshop mit 14 Wissenschaftlern

Bereits am Nachmittag des 21. Oktobers fand sich das Projektteam im Stadtamt zu einem Workshop zusammen. Während dieser Veranstaltung wurden die Arbeitsergebnisse des Teams „Mittelalter“ vorgestellt und diskutiert. 

Mag. Martin Obenaus behandelt die archäologischen Untersuchungen, die in den letzten Jahren in Zwettl durchgeführt wurden. Ganz besonders konzentriert er sich auf die sensationellen Funde, die im August und September 2016 beim Abbruch des Hauses Landstraße 21 (ehemaliges Hofhansl-Haus) gemacht wurden. Hier fand man unter anderem Keramikteile, die den Schluss zulassen, dass sich in Zwettl bereits im 7./8. Jahrhundert eine slawische Siedlung befand. Bisher war man davon ausgegangen, dass Zwettl erstmals im 11./12. Jahrhundert gegründet wurde. Obenaus macht sich aber auch Gedanken über die Herkunft des Namens Zwettl und über das mittelalterliche Straßennetz.

Dr. Markus Gneiss referierte über die frühen Kuenringer und deren rittermäßige Gefolgsleute, die bis in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts in Zwettl und in einigen umliegenden Orten ihre Herrschaftssitze hatten und wichtige Ämter in Vertretung der kuenringischen Stadtherren innehatten sowie über bürgerliche Eliten, die in der Stadt selbst tonangebend waren. 

Dr. Herbert Krammer, ein gebürtiger Zwettler, sprach über die bauliche und wirtschaftliche Entwicklung Zwettls im Hoch- und Spätmittelalter, über die Mauern, Türme, Tore, Freihöfe und das Bürgerspital sowie über Handel. Märkte, Handwerker und über die kirchliche Topographie.

Forschungsergebnisse online nachlesen

Die Manuskripte der Historiker werden demnächst auf der Homepage des Stadtarchivs Zwettl online gestellt. Hier sind bereits die Forschungsergebnisse zum 19. Jahrhundert frei zugänglich. Im nächsten Jahr vervollständigen die Texte zu den Epochen Mittelalter und Frühe Neuzeit das Werk zur Stadtgeschichte Zwettl.

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