Bereits am 11. Dezember 1914, nur knapp vier Monate nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, kamen über 100 Flüchtlinge aus Galizien, der Ukraine und der Bukowina nach Zwettl. Ihre Heimat, in den östlichen Provinzen der großen österreichische-ungarischen Monarchie gelegen, war plötzlich zum Kriegsgebiet geworden, und sie mussten mit wenigen Habseligkeiten vor den plündernd vordringenden Soldaten der zaristischen Armee fliehen.
Man brachte sie zunächst in Gasthäusern in der Stadt und im Stift Zwettl notdürftig unter, danach im Meierhof des Klosters, in der Haarstube, einem Gebäude an dessen Stelle sich heute die Bundeshandelsakademie befindet, und im Propsteigebäude, das auch damals schon im Besitz der Sparkasse war. Später wurden sie in eines der riesigen Flüchtlingslager transferiert, die man mittlerweile fernab der Front im Hinterland errichtet hatte. Eines der größten befand sich in Gmünd.
Nach dem Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 wurde auch der Süden der Monarchie zum Kampfgebiet, und Anfang Juli brachte man 730 heimatvertriebene Slowenen aus den Bezirken Görz, Gradiska und Tolmein in sieben Gemeinden des Bezirkes Zwettl großteils bei Familien unter:
Gemeinde |
Gesamtzahl der
Flüchtlinge |
vorschulpflichtige Kinder
(4-6 Jahre) |
schulpflichtige Kinder
(6-14 Jahre) |
Zwettl |
134 |
21 |
34 |
Stift Zwettl |
76 |
9 |
15 |
Oberstrahlbach |
125 |
11 |
30 |
Groß Gerungs |
145 |
16 |
38 |
Franzen |
157 |
9 |
43 |
Großglobnitz |
31 |
1 |
7 |
Allentsteig |
62 |
6 |
18 |
Im Jahr 1917 fanden allein in Niederösterreich 60.334 Flüchtlinge aus dem Osten und dem Süden der Monarchie Unterkunft und Verpflegung, und das in einer Zeit, als die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Bedarfsgütern nicht nur in den großen Städten, sondern auch auf dem Land äußerst schlecht war und große Teile der Bevölkerung Hunger und Not leiden mussten.
Mit Stichtag 1. April 1917 beherbergte die Stadt Zwettl dann 93 Ruthenen (= Bewohner der Bukowina), drei galizische Juden und 2 Polen. Im Stift waren 45 Flüchtlinge aus den Ostgebieten der Monarchie untergekommen, also durchwegs Personen aus fremden Kulturkreisen, mit fremder Muttersprache und fremder Religion.
Aber auch in vielen kleinen Orten wurden Flüchtlinge aufgenommen, wie zum Beispiel mit 1. April 1917 in folgenden Orten der heutigen Gemeinde Zwettl:
Ort |
Flüchtlinge |
davon Ruthenen |
Eschabruck |
14 |
|
Friedersbach |
28 |
28 |
Großglobnitz |
47 |
9 |
Gschwendt |
63 |
|
Jagenbach |
13 |
|
Kleinschönau (Ratschenhof) |
29 |
|
Marbach am Walde |
40 |
|
Rieggers |
13 |
|
Dorf Rosenau |
17 |
|
Schloß Rosenau |
111 |
|
Oberstrahlbach |
94 |
94 |
Da der Großteil der Ostflüchtlinge der griechisch-katholischen Religion angehörte, organisierte das Griechisch-Katholische Centralpfarramt zu St. Barbara in Wien speziell vor Ostern 1917 in den größeren Orten des Bezirkes Beichtmöglichkeiten und Gottesdienste.
In der Stadt Zwettl unterrichtete der pensionierte Schulleiter Josef Linhart aus Großweißenbach in den ersten Monaten des Jahres 1917 jeweils an den Wochenenden in den Räumen der Volksschule 45 ruthenische und 15 polnische Flüchtlingskinder. Die notwendigen Schulrequisiten stellte der Staat zur Verfügung.
Nach dem Separatfrieden mit der Ukraine am 9. Februar und dem Frieden von Brest-Litowsk am 3. März 1918 kehrte die überwiegende Zahl der Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina in ihre Heimat zurück, obwohl ihre Dörfer durch den Krieg verwüstet und die Landwirtschaft zerstört worden war. Die Flüchtlinge aus dem Süden konnten erst nach dem Kriegsende im November 1918 die Heimreise nach Slowenien antreten.