Objekt des Monats Dezember 2021

Veröffentlichungsdatum01.12.2021Lesedauer3 Minuten
Flugzettel

Propagandazettel Volksabstimmung Ödenburg, 1921

Flugzettel zur Volksabstimmung in Ödenburg (Sopron), 14. und 16. Dezember 1921

Im Stadtarchiv Zwettl (Karton 98) findet sich ein kleines, unscheinbares Papier, dessen Herkunft völlig rätselhaft ist. Es handelt sich um einen Flugzettel, der vor 100 Jahren zur Volksabstimmung in Ödenburg (Sopron) produziert wurde. Wie dieses interessante und seltene Stück in unser Archiv kam, wird sich wohl nie aufklären lassen, hat der Zettel mit der lokalen Zwettler oder Waldviertler Geschichte doch nichts zu tun.

Das Burgenland kommt zu Österreich und die Volksabstimmung in Ödenburg

Erste Vorschläge zur verwaltungstechnischen Vereinigung des vorwiegend deutschsprachigen Westungarn mit den angrenzenden österreichischen Kronländern tauchten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts auf, also noch zur Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Sie fanden aber kaum Echo, und die Bevölkerung in Westungarn dürfte wenig Interesse daran gehabt haben.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zerfall der Monarchie wurde diese Frage aber akut. In der Staatserklärung über Umfang und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich vom 22. November 1918 erhob Österreich Anspruch auf Deutsch-Westungarn – nach einer abzuhaltenden Volksabstimmung.

Im September 1919 wurden im Vertrag von Saint Germain Österreich Teile der mehrheitlich deutschsprachigen Komitate Westungarns (Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg) einschließlich der Stadt Ödenburg selbst zugesprochen. Das rechtsautoritäre Horthy-Regime weigerte sich, Deutsch-Westungarn vor der Unterfertigung des ungarischen Friedensvertrages zu räumen. Im April 1921 wurden im betroffenen Gebiet von Ungarn finanzierte Freischärler aktiv. Es kam zu Kämpfen zwischen österreichischer Gendarmerie und ungarischen Rechtsextremisten. Die Kämpfe forderten einige Dutzend Tote.

Italien trat 1921 als Vermittler zwischen den Streitparteien Österreich und Ungarn auf. In den Venediger Protokollen vom 13. Oktober 1921 verpflichtete sich die ungarische Regierung innerhalb von drei Wochen für den Abzug der bewaffneten Einheiten zu sorgen und das Gebiet ordnungsgemäß den österreichischen Behörden zu übergeben. Österreich wiederum willigte in die Abhaltung einer Volksabstimmung in Ödenburg und in acht an der Wasserversorgung der Stadt wichtigen umliegenden Ortschaften ein.

Trotz des ausdrücklichen Verbots jeder Form von Agitation in den Venediger Protokollen kam es im Vorfeld der Abstimmung auf beiden Seiten zu einer wahren Propagandaschlacht. Für den Anschluss der Stadt an Österreich agitierte der nach dem Muster des Kärntner Abwehrkampfes eingerichtete „Ödenburger Heimatdienst“, der mittels Flug- und Streuzetteln, Gerüchten, Drohungen, Irreführung, Polemik und Humor Propaganda betrieb.

Es wurde eine geheime Abstimmung durchgeführt. Wahlberechtigt waren alle Bürger, die am 1. Jänner 1921 zwanzig Jahre alt waren, in Ödenburg geboren oder zuständig waren oder nach dem 1. Jänner 1921 ihren Wohnsitz im Abstimmungsgebiet hatten. Die Volksabstimmung wurde am 14. Dezember 1921 in Ödenburg und am 16. Dezember 1921 in acht umliegenden Ortschaften durchgeführt. Es gab einen orangegelben Stimmzettel für Österreich und einen blauen für Ungarn, auf beiden waren die Ländernamen in Deutsch, Ungarisch und Kroatisch angeführt. Der Stimmzettel des Landes, für das man nicht stimmte, musste zerrissen werden. Beide Stimmzettel – der zerrissene und der unversehrte – mussten danach in einen Umschlag gesteckt werden. Von den laut ungarischen Wahllisten 27.069 Berechtigten machten 24.063 von ihrem Stimmrecht Gebrauch, 502 Stimmen waren ungültig: 15.338 hatten für Ungarn, 8.223 für Österreich gestimmt. In der Stadt selbst hatten 72,8 % für Ungarn gestimmt, in den Ortschaften der Umgebung nur 45,4 %.

Österreichische Darstellungen beschrieben den Ablauf der Volksabstimmung einhellig als Betrug und Fälschung. Zeitgenössische ungarische Darstellungen sahen die Umstände der Volksabstimmung anders. Der Verlust Ödenburgs für Österreich bzw. der Verbleib Soprons bei Ungarn leitete einen sehr wichtigen Befriedungsprozess an der österreichisch-ungarischen Grenze ein, der im Wesentlichen bis heute anhält: Österreich fand sich mit dem Ergebnis ab, und die Rückerlangung des Burgenlands gehörte später nicht ernsthaft zu den revisionistischen Zielen Ungarns. Die Ungarn konnten sich mit der Abtrennung des Burgenlandes abfinden.

Bei dem eingangs erwähnten Dokument im Stadtarchiv Zwettl handelt es sich um einen Propagandazettel der österreichischen Seite. Mit ihm wurden die Wahlberechtigten aufgefordert, den ungarischen Stimmzettel zu zerreißen und den österreichischen ganz zu belassen und so dafür zu stimmen, dass Ödenburg zu Österreich kommen sollte.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksabstimmung_in_%C3%96denburg