Die segensreiche Wirkung der Schutzpocken

Veröffentlichungsdatum12.05.2021Lesedauer7 Minuten
eine Rinderherde,

Kuhpocken sind für den Menschen harmlos. Der englische Landarzt Edward Jenner entwickelte die moderne Pockenimpfung, die er Vaccination (von lat. vacca, die Kuh) nannte.

Während man in Europa im 17. und frühen 18. Jahrhundert den Pocken noch hilflos gegenüberstand, wurden in Indien schon vor mehr als 2.000 Jahren erfolgreiche Versuche unternommen, Menschen zu immunisieren, indem man sie mit nur leicht an Pocken Erkrankten in Kontakt brachte oder mit geringen Mengen von Variolaviren infizierte. Im 18. Jahrhundert gelangte das Wissen aus dem Fernen und Nahen Osten langsam nach Europa. Lady Mary Wortley Montagu (1689–1762), die Frau des britischen Botschafters in Istanbul, brachte die Methode der Variolation nach Europa. Dabei wurde etwas Flüssigkeit aus den Pockenbläschen Erkrankter in die Haut Gesunder eingebracht, um sie zu immunisieren. Lady Montagu ließ – öffentlichkeitswirksam – ihre Kinder nach dieser Methode impfen (inokulieren oder variolieren). Eine Methode, die, wie sich herausstellte, nicht ungefährlich ist, da die Viren rückmutieren und so eine Erkrankung auslösen können. Die Todesrate durch die Impfungen beträgt 0,5 bis 3 Prozent, was immer noch wesentlich besser ist als die Todesrate der natürlichen Pocken mit 10–30 Prozent. In der Bevölkerung rief die absichtliche Infektion mit Krankheitserregern aber Skepsis hervor. Dennoch ließ Kaiserin Maria Theresia drei ihrer jüngeren Kinder gegen Pocken impfen. Sie richtete auch am Rennweg in Wien ein Inokulationshaus ein, wo sich die Bevölkerung kostenlos impfen lassen konnte.[1]

Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte der englische Landarzt Edward Jenner (1749–1823) die moderne Pockenimpfung. Arztkollegen vor ihm hatten entdeckt, dass Menschen, die sie mit den harmlosen Kuhpocken infiziert hatten, nun gegen die gefährlichen Pocken immun waren. Jenner brachte in die Haut seiner Patienten eine kleine Menge eines Impfstoffes ein, den er aus der Lymphe an Pocken erkrankter Kühe gewonnen hatte. Er nannte diese Behandlungsmethode Vaccination (von lat. vacca, die Kuh). Der Begriff vaccination (Vakzination) wird übrigens heute international allgemein für Impfung verwendet.

Anfangs war die Meinung der Ärzteschaft zu Jenners „englischer Methode“ der Vakzination gespalten, sie wurde gelegentlich auch lächerlich gemacht. So ging eine Zeitlang das Gerücht um, dass Menschen, die sich mit Kuhpocken impfen ließen, zu Rindern mutieren würden. Die Vakzination setzte sich allmählich aber doch durch und war ab 1803 in Österreich die einzig zugelassene Impfung gegen die Pocken.

Kein Impfzwang

Es gab und gibt kein Heilmittel gegen die Pocken. Nur die seit dem späten 18. Jahrhundert auch in Mitteleuropa bekannten Impfmethoden konnten vorbeugend schützen. Ab 1803 war die von Edward Jenner entwickelte und vom niederösterreichischen Arzt Paskal Joseph Ferro (1753–1809) als Pionier des Impfwesens praktizierte Vakzination in Österreich offiziell zugelassen. Dabei ritzte der Arzt die Haut des Patienten meist am Oberarm oberflächlich und brachte die für Menschen harmlosen Kuhpockenviren ein, wodurch das Immunsystem aktiviert und der Patient gegen die gefährlichen Pocken immunisiert wurde. An der Impfstelle entstand wenig später eine Pustel, die bald abfiel. Lediglich eine kleine Narbe blieb zurück. Die Nebenwirkungen dieser oft lebensrettenden Impfung waren gering, sie umfassten meist kurzfristige Schmerzen an der Impfstelle und mitunter auch Fieber. Dennoch konnten sich viele Menschen, vor allem auf dem Land, nicht entschließen, sich und besonders ihre Kinder, die ja in erster Linie betroffen waren, gegen Pocken impfen zu lassen. Die Pocken waren aber erst dann besiegt, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft und damit die vielzitierte Herdenimmunität erreicht war.

In Österreich bestand – im Gegensatz zu Deutschland – vorerst keine Impfpflicht. Vor allem die Ärzte waren aufgerufen, die Bevölkerung von der Wichtigkeit der Impfung zu überzeugen. Allerdings gab es zahlreiche Stimmen, die sich gegen die Kuhpockenimpfung erhoben. Da waren zunächst einige namhafte Ärzte, die von diesen neuen Methoden, die der althergebrachten tradierten Lehre nicht entsprachen, wenig hielten. Sonderbar verwirrte Geister fürchteten, wie bereits erwähnt, dass die Impfung mit Kuhpocken bei den Patienten Mutationen zu Rindern hervorrufen könnten. Manche empfanden die Impfung auch als einen unzulässigen Eingriff in die göttliche Vorsehung. Man sah in den Pocken ein gottgewolltes Regulativ, das die hohe Kinderzahl besonders in armen Familien reduzierte. Andere wiederum fürchteten, dass die Kinder bei der Impfung mit Syphilis infiziert werden könnten. Wieder andere bemängelten, dass der Kuhpockenimpfstoff nicht auch gegen die Feuchtblattern (Varizellen, Windpocken auch Schafblattern genannt) immun machte, daher lehnten sie die Impfung ab. Außerdem grassierte die Meinung, dass Kinder, die gegen die Pocken geimpft wurden, die Krankheit später doch wieder bekommen könnten, und diese dann viel schlimmer ausfallen würde, als wenn sie sie bereits in früher Kindheit überstanden hätten. Solche und ähnlich abstruse Ideen hielten damals zahlreiche Menschen ab, ihre Kinder gegen die Pocken impfen zu lassen. Sehr viel klüger verhält sich die Menschheit heute, rund 200 Jahre später, im Angesicht der aktuellen Corona-Pandemie aber offensichtlich nicht!

Die Kirche muss helfen

ein altes Foto einer PersonDie Kirche muss helfen, Eltern von der segensreichen Wirkung der Schutzpocken zu überzeugen. Undatierte Postkarte mit Propstei, Bründlkirche und StadtpfarrkircheSchon Maria Theresia und Joseph II. hatten sich, wenn ihre Reformen und Anordnungen der Bevölkerung bekannt gemacht werden sollten, mit Vorliebe der katholischen Kirche und ihrer Institutionen bedient. So tat es an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auch Kaiser Franz II./I. Den Geistlichen wurde aufgetragen, die Kirchenbesucher regelmäßig von der Kanzel über die segensreiche Wirkung der Pockenimpfung (auch Schutzpocken genannt) aufzuklären. Ab 1812 waren die Pfarrer überdies verpflichtet, viermal im Jahr die Namen jener Kinder von der Kanzel zu verlesen, die in den drei Vormonaten in der Pfarre ohne Impfung an den Pocken gestorben waren. Auch die Eltern dieser Kinder wurden dabei öffentlich genannt. Die Geistlichen mussten von der Kanzel verkünden, dass die Eltern ungeimpfter Kinder, die an den Pocken verstorben waren, ihr Versäumnis einst vor dem Allmächtigen zu verantworten hätten. Ebenso legte eine Regierungsverordnung fest, dass ein an den Blattern verstorbenes Kind zwar von einem Geistlichen eingesegnet werden durfte, das Begräbnis dann aber in kleinstem Kreis ohne geistlichen Beistand stattfinden musste. Außerdem mussten die Pfarrer ab 1821 aus den Taufbüchern die Namen der impffähigen Kinder herausschreiben und diese Listen dem zuständigen Impfarzt übergeben. Solche Impflisten finden sich heute noch in vielen Pfarrarchiven.

Es gab also keine offizielle Impfpflicht in Österreich, der Druck, den man auf die Bevölkerung ausübte, war jedoch beträchtlich. Die Impfärzte suchte man durch Geldprämien zu besonders fleißiger Tätigkeit zu motivieren. Selbstverständlich engagierten sich auch öffentliche Stellen wie die Kreisämter, ab 1850 dann die neugeschaffenen Bezirkshauptmannschaften und auf deren Initiative hin auch die Bürgermeister für eine möglichst flächendeckende Pockenimpfung.

Bezirkshauptmann Josef Schmid lässt nicht locker

ein Vintage-Foto von einem alten GebäudeIn der Zwettler Volks- und Bürgerschule wurden impfungsfähige Kinder untersucht. Zeichnung von 1896Am 11. Juli 1851 schrieb Bezirkshauptmann Josef Schmid an die Zwettler Gemeindeführung, dass ihm der Bezirksarzt Dr. Anton Großkopf über die am 10. Juli in der Pfarre Zwettl vorgenommene Hauptimpfung berichtet habe, zu der zwar Kinder aus der Stadt Zwettl und aus Moidrams erschienen waren, aus den Katastralgemeinden aber niemand. Er beauftragte daher Bürgermeister Franz Haunsteiner, dahingehend zu wirken, dass die Leute endlich einmal die durch die Impfung gebotene Wohlthat einsehen und sich bei der am 17. Juli nachmittags um 3 Uhr im Schulhause in Zwettl vorzunehmenden Nachsicht mit ihren impfungsfähigen Kindern unausbleiblich einfinden und sich hiebei anständig gegen die Impfärzte betragen. Haunsteiner ließ eine entsprechende Kundmachung in Böhmhöf, der Koppenzeil und im Oberhof anschlagen und wies die dortigen Ortsvorsteher an, die betroffene Bevölkerung zur Teilnahme an der Impfung anzuhalten.[2] Am 1. Juli 1853 rügte Bezirkshauptmann Schmid die Zwettler Gemeindeführung, weil bei der letzten Impfung kein Mitglied des Gemeindevorstands anwesend war, und am 25. Juli desselben Jahres wies Josef Schmid den Zwettler Bürgermeister an, Johann Fröhlich aus Sallingstadt Nr. 6 für drei Tage in den Gemeindearrest zu sperren, da dieser die Anordnung zur Impfung seiner Kinder nicht befolgt, stattdessen aber die Geistlichkeit, vermutlich wohl Pfarrer Julius Zelenka aus Sallingberg, beschimpft hatte.[3]

Allmählich zeigten diese intensiven Bemühungen Wirkung, und die Pockenimpfung, die übrigens für alle Patienten gratis war, wurde mehr und mehr angenommen, was sich auch in den sinkenden Sterbezahlen äußerte. Dennoch starben 1874 in der Stadt Zwettl noch 21 Personen an dieser Krankheit.[4]

Die Seuche wird besiegt

Trotz aller Bemühungen war die Krankheit auch im frühen 20. Jahrhundert nicht besiegt, und selbst als mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 hier ebenfalls die Pocken-Impfpflicht eingeführt wurde, konnten keineswegs alle Kinder geimpft werden. Die meist wohl irrationale Angst mancher Eltern war zu groß. Die Durchimpfungsrate der Bevölkerung hatte mittlerweile aber schon einen beträchtlichen Grad erreicht. Dennoch kam es in den 1950er und 1960er Jahren in Europa vereinzelt zu Pockenepidemien. Ab 1967 wurde die Pockenimpfung auf Beschluss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit Pflicht. Es wurde mit großangelegten Impfaktionen ein weltweiter Feldzug zur Ausrottung der Pocken gestartet. Am 8. Mai 1980 stellte die WHO fest, dass die Pocken ausgerottet sind. Für das weltweite Eliminationsprogramm wurden 2,4 Milliarden Impfdosen verabreicht und 300 Millionen Dollar ausgegeben, es waren mehr als 200.000 Helfer notwendig.[5]

[2] Stadtarchiv Zwettl (StAZ), Karton 43, Reg.Nr. 521.

[3] StAZ, Karton 46, Reg.Nr. 435 und 493.

[4] Matricula, Pfarrarchiv Zwettl, Sterbebuch 1871–1891, Sign. 03/08.