ERLESENES aus dem Stadtarchiv

Veröffentlichungsdatum14.04.2022Lesedauer7 Minuten
Dreifaltigkeitsplatz 1950er Jahre

Dreifaltigkeitsplatz: Blick vom oberen Ende der Kuenringerstraße zur Dreifaltigkeitssäule und zum Gasthaus Zur Goldenen Rose; Postautobus, 1950er Jahre

Im Stadtarchiv Zwettl liegen unzählige Akten, Urkunden, Protokolle, Bilder und Plakate. Vieles davon ist bereits aufgearbeitet, doch immer wieder tauchen neue historische (Schrift-)Stücke auf, die einen interessanten Einblick in vergangene Zeiten gewähren.

In unserer neuen Serie ERLESENES werden spannende, skurrile und beinahe unglaubliche Geschichten aus den Zwettler Archivalien aufgegriffen und nacherzählt. Den Anfang macht ein Bericht über einen abenteuerlichen Schulausflug im Jahr 1947, der damals im „Waldviertler Boten“ veröffentlicht wurde.

Wenn Lehrlinge eine Reise tun, so können sie was erzählen!

Wie alljährlich, so machte auch heuer die gewerbliche Berufsschule in Zwettl zum Schulschluss einen Ausflug, zu welchem von den Teilnehmern schon im Winter 1946/47 Einzahlungen geleistet wurden, um das Fahrgeld zum geeigneten Zeitpunkt beisammen zu haben. Es wurde mit Herrn Koy, Autounternehmer in Zwettl, welcher ja immer unser zuverläßlicher Fahrer war, der Fahrpreis vereinbart. Alle Jungen und Mädl freuten sich schon lange auf diesen Ausflug. Leider mussten wir im letzten Moment die unliebsame Nachricht von Seite der Fahrdienstleitung von Zwettl entgegennehmen, dass Herr Koy bis jetzt noch keine Bewilligung für den Personentransport habe und uns daher nicht führen dürfe.

Das war die erste Enttäuschung. Wir mussten nunmehr mit Hilfe der Fahrbereitschaft ein anderes Autounternehmen auftreiben und wurde uns seitens der Fahrdienstleitung das der Frau Schalko in Allentsteig vermittelt.

Wir waren wie vereinbart am 14. Juni um ½ 4 Uhr morgens fahrbereit an Ort und Stelle, um Punkt 4 Uhr, wie vereinbart, abfahren zu können. Leider traf das Auto erst mit 45 Minuten Verspätung am Platze ein, was die erste Verstimmung bei unseren reisebegeisterten Jungen und Mädl hervorrief. Doch bald war das vergessen und die Fahrt ging dahin. Leider nur 14 km, dann gab es den ersten Patschen, also wieder 30 Minuten Fahrtunterbrechung. Die Weiterfahrt über Krems bis St. Pölten war ohne Zwischenfälle, doch hier ergab sich zufolge der unzulänglichen Straßenkenntnisse des Fahrers ein zirka 12 km langer Umweg, welcher halt hingenommen werden musste. Endlich wurde die Mariazeller Straße gefunden und weiter ging’s ins Traisental, doch kaum von Traisen heraus, eine Reifenexplosion, aber kein Reservereifen. Der Schaden musste durch Einmontieren eines Reserveschlauches behoben werden, was eine zweistündige Fahrtunterbrechung mit sich brachte. Außerdem mußte unterwegs des Öfteren stehen geblieben werden, um den Verbindungsschlauch der Öldruckbremsleitung zu reparieren. Also kamen wir erst nach einer fünfstündigen Verspätung beim ersten Reiseziel in Hirschwang an. Dort war bis zu Mittag herrliches Wetter, welches die Lehrlinge leider nicht mehr ausnützen konnten. Am Nachmittag verschlechterte sich das Wetter und als wir mittels der Drahtseilbahn auf die Rax kamen, war oben dichter Nebel, der uns jede Aussicht versperrte.

Obwohl wir nur mehr 20 km vom Semmering entfernt waren, mussten wir auf den Besuch desselben verzichten, da wir nur sehr spät unser Tagesziel erreicht hätten und außerdem die Gefahr bestand, bei einer nochmaligen Reifenpanne irgendwo auf der Straße übernachten zu müssen. Außerdem erklärte der Fahrer, wenn nochmals ein Reifen geht, kann er nicht mehr weiter, weil er keinen Ersatz habe. Obwohl nun wieder herrliches Wetter herrschte, war die Stimmung sehr gedrückt. Wenn wir auch schließlich unser Tagesziel in Edlitz-Grimmenstein erreichten. Dort hatten wir bald unser Quartier und der Abend wurde bei schönstem Wetter verbracht. An nächsten Tage nach Einnahme des Frühstücks (Milchkaffee) ging es in das Pittental – Bromberg – Schlattental hinein und nach Spratzau, wo wir mittags unser Reiseziel erreicht hatten. Hier wollten wir uns zwischen Wiesen und Wäldern am schönen Spratzaubach ausruhen, nicht nur von der Fahrt, sondern sollte das Wochenende überhaupt hier verbracht werden. Dieser Wunsch war umso berechtigter, als jedermann weiß, dass die den Ausflug machenden Lehrlinge die ganze Woche in harter Arbeit stehen. Die kurze Zeit, die für diese Rast zur Verfügung stand, bot einige schöne Stunden bei herrlichem Wetter. Abends ging es wieder ins Quartier und es wäre sehr schön gewesen, wenn nicht die Nachtruhe der erholungsbedürftigen Lehrlinge durch den Fahrer und seinen Mitfahrer um zwei Uhr morgens grob gestört worden wäre. Der Fahrer hatte nicht nur die erste Nacht durchgebummelt und fast nichts geschlafen, sondern auch diese Nacht mit dem Auto, welches ohnehin sehr schonungsbedürftig war, herumgefahren und erst um 2 Uhr morgens heimgekommen. Der Fahrer benahm sich aber auch in anderer Weise derart, daß unter allen Umständen verlangt werden muss, dass er nicht mehr zu solchen Fahrten verwendet werde, denn schließlich sind die Lehrlinge, besonders aber die weiblichen nicht für den Fahrer da, sondern der Fahrer hat den Erholungsbedürftigen gegenüber seine übernommene Pflicht korrekt und restlos zu erfüllen. Er musste wissen, dass bereits um 6 Uhr früh wieder weitergefahren wird und daher hätte er ganz besonders auf die ungestörte Nachtruhe der Lehrlinge, wie auch der übrigen Hausbewohner bedacht sein müssen.

Unter diesen Umständen wird man es begreiflich finden, dass Lehrlinge und Begleitpersonen in der Früh nur mit einem sehr unguten Gefühl wieder das Auto bestiegen, denn ein Fahrer, welcher durch zwei Nächte hindurch kaum schläft, bedeutet selbst dann ein großes Fragezeichen für die Fahrgäste, wenn er auch jung ist. Ganz besonders aber wirkte die Tatsache beunruhigend, dass man sah, dass der Fahrer auch ein Weintrinker ist, der sich bei jeder Gelegenheit ein Viertel genehmigte.

Durch diese Umstände wurden die Wochenendfahrer gezwungen, die Reise ins Burgenland aufzugeben. Dies umso mehr, als das Burgenland selbst eine Weingegend ist, das Auto keine Reservereifen hatte, außerdem die Gummidecke vollständig abgefahren war und viele Risse aufwies.

Obwohl von Wien um 12 Uhr Mittag abgefahren wurde und unterwegs nur eine Stunde Aufenthalt war, kamen wir erst um 10 Uhr abends in Zwettl an. Dass bei dieser Schinderfahrt unter obig geschilderten Umständen die Lehrlinge nicht auf ihre Rechnung kamen, braucht erst gar nicht erwähnt zu werden. Wieso nun die Lehrlinge außerdem dazukommen, für eine derart miserable Fahrt 50 Schilling zu bezahlen, obwohl sie weder genügend Sitzplätze hatten, noch die vereinbarten Reiseziele erreichten, bleibt eine Frage für sich, welche die hiefür zuständige Behörde wird klären müssen.

Weiters muss entschieden dagegen Einspruch erhoben werden, dass man für eine solche Fernfahrt seitens der Fahrdienstleitung eine derart elende Kraxen, mit einem, für solche Zwecke völlig ungeeigneten, jungen, erholungsbedürftigen Fahrer anhängt und dass man außerdem noch dafür bezahlen muss.

Wir verlangen namens der Begleitpersonen und der Lehrlinge dieser Wochenendfahrt eine gründliche Untersuchung dieser Angelegenheit sowohl gegenüber der Autoinhaberin als auch bezüglich des Fahrers, denn niemand hat ein Recht dazu, junge Menschen derart leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. In Zukunft werden die Arrangeure solcher Wochenendfahrten gut daran tun, sich rechtzeitig um ein Autounternehmen zu kümmern, welches den gesetzlichen Bestimmungen entspricht und den angestrebten Zweck auch voll zu erreichen vermag.

Gewerbliche Berufsschule Zwettl

Den Bericht über diesen abenteuerlichen Schulausflug verfasste Baumeister Anton Geyer. Er war als Lehrer an der gewerblichen Berufsschule Zwettl tätig und organisierte den Ausflug, an dem 50 Lehrlinge und Lehrmädchen teilnahmen.

Die gewerbliche Fortbildungsschule wurde bereits 1895 in Zwettl errichtet. Dort sollte Lehrlingen das für ihre Berufsausübung nötige theoretische Wissen vermittelt werden. Erster Schulleiter war Bürgerschuldirektor Adalbert Mauritz. Der Unterricht fand während der Woche nachmittags und abends in den Räumen der Volks- und Bürgerschule in der Schulgasse statt (heute: Mittelschule für Sport und Wirtschaft Zwettl). Aber auch an Sonntagen mussten die Lehrlinge vormittags dort die Schulbank drücken. 

Die Schule wurde vor allem vom Land Niederösterreich, den örtlichen Gewerbetreibenden und den Gemeinden finanziert. Lehrlinge fast aller Berufssparten, die im Nahbereich von Zwettl ihren Lehr- und Arbeitsplatz hatten, mussten sie besuchen.

Im Oktober 1942 wurde für die Bezirke Krems, Hollabrunn, Horn, Gmünd, Waidhofen/Thaya und Zwettl sowie für das gesamte Burgenland in Zwettl eine Bauberufsschule mit Internatsbetrieb gegründet. Dazu errichtete man am Fuß der Stadtmauer, nahe der Hauptschule, dort wo sich heute Turnhalle und Trainingsplatz befinden, mehrere Baracken als Lehrbauhof. Mit Kriegsende wurden die Baracken für andere Zwecke benötigt, für kurze Zeit dienten sie auch der Roten Armee als Lazarett. Der Lehrbauhof wurde im April 1945 geschlossen und die Berufsschule übersiedelte neuerlich in die Hauptschule.

Im Schuljahr 1947/48 konnte die gewerbliche Berufsschule dann wieder ein Klassenzimmer in den Baracken beziehen. Als Schulleiter amtierte damals der Hauptschullehrer Matthias Lonsing. Außer ihm unterrichteten sein Berufskollege Karl Almeder sowie der Baumeister Anton Geyer, der Landmaschinenschlosser Johann Höllriegl und der Fleischhauer Wilhelm Feucht in der gewerblichen Berufsschule Zwettl. 1947 besuchten 127 Lehrlinge diese Schule. Sie waren ihrem Lehrberuf entsprechend in drei Klassen eingeteilt: 1. Handel und Nahrung; 2. Holzverarbeitende Berufe sowie Ofensetzer, Maler, Gärtner, Friseure, Schneider/Schneiderinnen und 3. Metallverarbeitende Berufe sowie Elektriker, Vulkaniseure, Buchdrucker, Schriftsetzer und Schuhmacher.

Das Hauptschulgebäude von der Kremser Straße aus gesehen 1960er JahreDas Hauptschulgebäude von der Kremser Straße aus gesehen; im Vordergrund die Baracken des Gymnasiums und der Gewerblichen Berufsschule, 1960er Jahre, Fotograf Josef Frank