Objekt des Monats April 2023

Veröffentlichungsdatum01.04.2023Lesedauer3 Minuten
Blick über den Hauptplatz zum Rathaus

Blick über den Hauptplatz zum Rathaus, Sign. BA 03-06A-21

Das Bild bietet einen Blick über den Hauptplatz zum Rathaus hin, aufgenommen um das Jahr 1923. An der Rathausfassade fehlen die Sgraffitobilder von 1549/50. Sie wurden vermutlich nach dem Stadtbrand vom 14. August 1814 unter Putz gelegt. Stattdessen sieht man über dem Einfahrtstor als schwarzes Rechteck das gusseiserne Relief, das Kaiser Josef II. beim Pflügen zeigte. Es wurde von Georg Schönerer im Jahr 1881 der Gemeinde geschenkt und am Rathaus angebracht. Als man 1976 unter dem Verputz die Sgraffiti aus dem 16. Jahrhundert entdeckte und restaurierte, transferierte man die Metalltafel zum damaligen Haus der Bezirksbauernkammer (Landstraße 29) und brachte sie dort an. Seit Umbauarbeiten an diesem Haus im Jahr 2005 ist die Tafel verschwunden.

Im Rathaus war damals, 1923, das Bezirksgericht untergebracht. Hinter dem Rathaus, jenseits des schmalen Hofes, stand das Bezirksgefängnis, in dem sich in zwei Stockwerken etwa zehn Häftlingszellen befanden.

In dem Haus rechts vom Rathaus (heute Friseursalon Magic Hair) betrieben seit 1917 Josef und Ludowika Artner eine Gastwirtschaft. Das Haus trägt auf dem Bild noch den Namen des Vorbesitzers Robert Böhm, der bereits ab 1914 hier sein Wirtshaus gemeinsam mit Gattin Sofie bewirtschaftete. Doch schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden hier ein Gasthaus und eine Spedition, denn 1863 verlieh die Bezirkshauptmannschaft Zwettl dem Ferdinand Heiderer die Schildwirtkonzession auf seinem Haus am Hauptplatz. Und auch noch in den 1960er Jahren bestand hier ein gemütliches, gutbürgerliches Gasthaus, zuletzt bewirtschaftet von der Familie Lechner.

Im Haus rechts daneben – heute Fleischerei Böck (vormals Klinger) – war auch vor 100 Jahren schon eine Fleischhauerei. Franz und Josefa Schneider betrieben hier seit 1878 das Fleischhauer- und Selchergewerbe sowie einen Viehhandel. Vor dem Haus, mitten auf dem Hauptplatz, sieht man den alten Auslaufbrunnen, von dem die Zwettlerinnen und Zwettler Wasser entnehmen konnten. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts führte eine zunächst hölzerne, seit 1872 eiserne Rohrleitung von den Quellen und Brunnen in den Brühlfeldern in die Stadt. Auf unserem Bild ist die Wasserleitung bereits stillgelegt, denn das Auslaufbecken ist dicht bepflanzt. 1892 war die Kaiser-Franz-Josef-Wasserleitung eröffnet worden, die Wasser aus dem Viehgraben in die Stadt brachte. Daher konnte man die alte Brühlwasserleitung stilllegen. Beachtenswert ist auch die hohe Straßenlaterne, die zwischen dem Brunnen und dem Fleischerhaus zu sehen ist. Sie gehört zur elektrischen Straßenbeleuchtung, die nach der Gründung der Zwettler Elektrizitätsgenossenschaft Z.E.G. im Jahr 1898 errichtet wurde.

Ganz links im Bild sieht man das Kaufhaus Thum/Riegler, Hauptplatz 16, das um 1900 ein zweites Stockwerk und im Erdgeschoß eine neue Fassade mit holzgerahmten großen Auslagenfenstern erhielt. Heute bietet der Verein Waldviertler Frauenwirtschaft unter dem Titel „Frau iDA“ in den beiden Obergeschoßen Platz für innovative Frauen, die sich als selbstbewusste Unternehmerinnen präsentieren, an die Öffentlichkeit treten und hier arbeiten wollen.

Die vorliegende, handkolorierte Ansichtskarte stammt vom Zwettler Fotografen Karl Scheider. Der 1892 geborene Scheider meldete 1918 im Haus Kaiser-Wilhelm-Straße 65 (heute Landstraße 65) den Handel mit Gebetbüchern, Kalendern und Heiligenbildern sowie mit Papier, Papierwaren, Ansichtskarten und fotografischen Bedarfsartikeln an. Als Geschäftsführer fungierte Othmar Scheider, der am selben Tag den Gewerbeschein für die Porträt-Fotografie erhielt. Othmar Scheider verfasste zahlreiche Artikel in fotografischen Fachzeitschriften, von ihm stammen einige Zwettl-Bilder.