Chronologie des Hochwassers vom August 2002

Dienstag, 6. August 2002
Am 6. August 2002 lag ein bis in große Höhen reichendes Tief über Österreich, das in der Folge heftige Niederschläge im Raum Salzburg, Linz, im Mühl- und im Waldviertel bewirkte. Während in den meisten Teilen Niederösterreichs die Niederschläge bald nachließen, blieben sie im Raum Zwettl über mehrere Stunden konstant, und nach einer kurzen Entspannungsphase schoben sich weitere intensive Niederschlagsfelder über die Region.

Mittwoch, 7. August 2002
Bis um 8.00 Uhr waren bereits 80 mm Niederschlag gefallen, ein zweiter massiver Regenblock trat in den Nachmittagsstunden auf, bis 19.00 Uhr waren 158 mm gefallen, und bis zum 8. August um 8.00 Uhr waren es geschätzte 250 mm. In den Abendstunden des 7. August 2002 spitzte sich die Situation im innerstädtischen Bereich von Zwettl dramatisch zu: Kamp und Zwettl traten im Stadtzentrum über die Ufer. Binnen weniger Stunden wurden der Sportplatz und das gesamte Areal des Freibades von den Wassermassen überflutet. Noch vor Einbruch der Dunkelheit versank der Stadtteil Oberhof unter den Geröll und Schlamm transportierenden Fluten. Innerhalb kurzer Zeit wurden die städtischen Durchzugsstraßen - Schwarzenauer Straße, Gerungser Straße und Ottenschlager Straße - unpassierbar und mussten für den Verkehr gesperrt werden. Auch die in Richtung Stift Zwettl führende Allentsteiger Straße versank teilweise unter den reißenden Wassermassen. Angeschwemmte Baumstämme, Sträucher und Geröll verwandelten die Straßen in weiten Bereichen in ein Trümmerfeld. Die zerstörerische Kraft des Wassers unterspülte die Ufer, riss Teile der Böschungen mit und beschädigte die Asphaltdecke der Fahrbahn. In den Abendstunden des 7. August 2002 war Zwettl auf der Straße nicht mehr erreichbar, sämtliche Zufahrtsstraßen wurden gesperrt und die in den Senken aufgestauten Wassermassen machten eine Durchfahrt unmöglich. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Feuerwehren des Bezirkes Zwettl mit ca. 1200 Mitgliedern im Einsatz. Haupteinsatzgebiet war die Stadt Zwettl, aber auch einige der angrenzenden Katastralgemeinden – darunter Jagenbach und Dorf Rosenau.
Hatten sich die Arbeiten in Zwettl am Mittwochnachmittag noch auf das Füllen von Sandsäcken und das Errichten von Barrieren konzentriert, so beschränkten sich die Einsätze in den Nachtstunden vor allem auf Menschenrettungen, Häuserevakuierungen und Sicherungsmaßnahmen. Aufgrund des rasch steigenden Pegelstandes der Flüsse Kamp und Zwettl mussten nach und nach Sandsackbarrieren vor Gebäuden – z. B. Parkgarage Zwettl, Kino – aufgegeben und die Häuser den Wassermassen überlassen werden. In den Nachtstunden wurden im gesamten Stadtgebiet der Strom und das Gas abgestellt. Um Mitternacht war der höchste Pegelstand mit etwa 4 Meter über dem Mittelwasser erreicht. Im Halbminutenrhythmus trafen in der Einsatzzentrale der Feuerwehr Notrufe ein und insgesamt wurden in dieser Nacht 69 Menschenrettungen durchgeführt.

Donnerstag, 8. August 2002
Das gesamte Ausmaß der Zerstörung wurde in den Morgenstunden des darauf folgenden Donnerstages, 8. August 2002, sichtbar: In den tiefer gelegenen Siedlungsgebieten standen ganze Häuserzüge unter Wasser. Zahlreiche Öltanks waren aus ihren Verankerungen gerissen worden, das ausgetretene Heizöl verschmutzte das Wasser und lastete auch als ölige Dunstglocke über weiten Bereichen des Überschwemmungsgebietes. Von den Überschwemmungen besonders betroffen waren die Ortsgebiete Syrnau und Oberhof, aber auch entlang der Gartenstraße und der Freizeitmeile hatten die Wassermassen in den Nachtstunden eine Schneise der Zerstörung gezogen. Noch in der Nacht von 7. auf 8. August 2002 rückten Einheiten des Katastrophenhilfsdienstes der NÖ Feuerwehren aus Hollabrunn und Lilienfeld zur Ablösung bzw. Unterstützung der örtlichen Einsatzkräfte an. Die Katastrophenhilfseinheiten wurden zum Auspumpen und Ausräumen der Häuser in Zwettl eingeteilt. Zu diesem Zeitpunkt war der Pegelstand zurückgegangen, sodass an den meisten Orten auch mit Aufräumungsarbeiten begonnen werden konnte.

9. bis 12. August 2002
Zahlreiche weitere Feuerwehren aus anderen Bezirken, Einheiten des Bundesheeres, teils mit schwerem Gerät und viele freiwillige Helfer waren bemüht, Hilfe zu leisten und die ärgsten Schäden zu beseitigen. Schäden, deren Ausmaß sich in diesen Tagen erst allmählich abzuzeichnen begann.

Dienstag, 13. August 2002
Die für die Nacht vom 12. auf den 13. August prognostizierten neuerlichen Niederschläge trafen leider tatsächlich ein. In den Nacht- und in den frühen Morgenstunden hatten sich die Flüsse und Bäche in Zwettl abermals zu einer tosenden, alle Hindernisse mitreißenden Wassermasse entwickelt. Die Regenfälle hatten an Heftigkeit zwar nachgelassen, aber den ganzen Morgen und den Vormittag über fiel über Zwettl ein gleichmäßiger Niesel- und Dauerregen. Von der Höhe des Propsteiberges aus bot sich um 8.00 Uhr morgens ein gespenstischer Anblick: Die Wassermassen wälzten sich quer durch die Stadt. Die Syrnauer Kreuzung, die Umfahrungsstraße und die Gartenstraße sowie der untere Bereich der Landstraße waren unter den reißenden Fluten versunken. In den Vormittagsstunden stieg der Pegelstand weiter an. Pumpengeräusche, Sirenen und laut tosende Wassermassen vereinten sich zu einer bedrohlich anmutenden Geräuschkulisse. Eine Querung des Stadtgebietes war unmöglich. Schon während der ersten Flutwelle hatten zahlreiche Menschen die Eisenbahnbrücke benützt, um zu Fuß - hoch über dem Wasser - von einem Stadtteil in den anderen zu gelangen. Nun richtete die Bundesbahn einen Shuttledienst ein, der in kurzen Abständen zwischen Syrnau und Bahnhof verkehrte, da ein Überqueren der Eisenbahnbrücke zu Fuß nicht ungefährlich ist.
Die Promenade und die Gerungser Straße waren unter einem reißenden Strom verschwunden, die Flutwelle reichte bis zur Höhe des Straßengeländers und strömte mit ungeheurer Wucht über die Hamböckbrücke hinweg. Wassermassen überfluteten neuerlich die Gartenstraße und setzten die dort befindlichen Häuser und Betriebe – u. a. Foto Berger, Eisenhandlung Kastner, Pizzeria San Marco, Café Süd – abermals unter Wasser. Auch das Stadtamt und das Tagesheim der Caritas wurden zum zweiten Mal überflutet, wenngleich die Folgen dieser zweiten Flutwelle dank der vorsorglich aufgeschichteten Sandsackbarrieren gemindert werden konnten. Das Wasser im Erdgeschoß des Stadtamtes erreichte eine Höhe von etwa 15 Zentimeter. Insgesamt blieb die zweite Flutwelle vom 13. August etwa 40 cm unter dem Pegelstand der ersten Hochwasserkatastrophe vom 7./8. August 2002. Die Kamptalstraße und die gegenüberliegende Hauensteinerstraße waren zu diesem Zeitpunkt in weiten Bereichen überflutet und auch die Privatbrauerei Zwettl war neuerlich von Wassermassen eingeschlossen. Erst in den Mittagsstunden begann der Pegelstand zu sinken und um ca. 13.30 Uhr war es möglich, die Gerungser Straße auf der Höhe der Wichtelbrücke/Kuenringerstraße mit Gummistiefeln zu überqueren und auf das gegenüberliegende Ufer des Zwettl-Flusses zu gelangen.

Mittwoch, 14. August 2002
Der Himmel ist morgens noch bedeckt, abgesehen von einem kurzen Nieselregen fallen keine weiteren Niederschläge mehr und in den Mittagsstunden setzt sich die Sonne durch. Im gesamten Stadtgebiet werden Aufräumungsarbeiten durchgeführt: Die Straßen werden von den Einsatzkräften der Feuerwehr und des Bundesheeres mit Wasserschläuchen, Schaufeln und Besen von den Schlammablagerungen gesäubert. Viele Menschen bieten spontan ihre Hilfe an. Die Hilfskräfte sowie die vom Hochwasser betroffenen Menschen werden durch freiwillige Helferinnen und Helfer unterstützt.

Wissenschaftliche Einschätzung der Hochwasserkatastrophe
Wissenschafter des Instituts für Hydraulik, Gewässerkunde und Wasserwirtschaft an der Technischen Universität Wien haben das Hochwasser vom August 2002 analysiert und unter anderem Folgendes festgestellt: Der höchste jemals gemessene Niederschlagswert pro Tag lag für Zwettl (im Jahr 1903) bei 92 mm. Diese Menge wurde in den Augusttagen 2002 um etwa 70 % überschritten. Zur Zeit der höchsten Niederschläge am 6., 7. und 8. August fielen nämlich bis zu 158 mm pro Tag. Durch den Kamp flossen bei Zwettl zur Hochwasserspitze 420 m3 Wasser pro Sekunde ab. In Stiefern waren es bereits etwa 800 m3. Für ein statistisch errechnetes 100jähriges Hochwasser nimmt man an, dass pro Sekunde etwa 200 m3 Wasser in Zwettl abfließen werden. Aus diesen Werten ergibt sich rein rechnerisch, dass ein Hochwasser wie jenes vom heurigen August nur alle 2 000 bis 10 000 Jahre auftreten wird. Allerdings räumen die Wissenschafter ein, dass die Einschätzung dieses Hochwassers wegen seiner Außergewöhnlichkeit sehr schwierig ist.

Klimawerte für Zwettl Quellen:

Johann Hermann, Die Stadt Zwettl. S 29, 30. Sowie: Freundliche Mitteilung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMAG), 1190 Wien, Hohe Warte 38, vom 5. 9. 2002.

Temperatur, Extremwerte:
+ 35,8 Grad C (5. Juli 1957, Stift Zwettl)
- 36,6 Grad C (11. Februar 1929, Stift Zwettl)

Niederschlag, Extremwerte:
Jahresniederschlag: 1003 mm (1906, Stift Zwettl)
Schneehöhe: 110 cm (1942)

Der Langzeitmittelwert der jährlichen Niederschläge beträgt für Stift Zwettl 663 mm (aktuelle Vergleichsperiode 1961 – 1990). Im August 2002 betrug die Niederschlagsmenge in Stift Zwettl 352 mm (= 352 Liter pro Quadratmeter).
[Da wegen des Hochwassers die Wetterstation in Stift Zwettl im August 2002 teilweise ausfiel, wurden die fehlenden Daten von der ZAMAG mit bestehenden Daten (Niederschlagsmeldungen von Nachbarstationen, Radar-Niederschlagsintensitäten etc.) ergänzt.]

Quellen:
Stadtgemeinde Zwettl-NÖ (Johann Koller), Die Hochwasserereignisse in Zwettl. Zusammenfassung der Geschehnisse vom 7. bis 20. August 2002. In: zwettl.gv.at. Sowie: D. Gutknecht/Ch. Reszler/G. Blöschl, Jahrtausend-Hochwasser am Kamp? In: http://www.tuwien.ac.at/aktuelles/news_detail/article/3401/ .